Rufus (21) ist ein Raubritter der auf seiner Burg östlich von Chester hockt und vorbeiziehende Händler überfällt, um seine Verschwendungssucht zu finanzieren.
Vor einiger Zeit hat er walisische Söldner angeheuert, die er stehts und ständig um den Sold prellt, indem er ihnen vorrechnet es sei noch gar nicht Zahltag.
Rufus war zufrieden mit seinem letzten Raubzug. Die Tuchhändler hatten viel bares Geld bei sich gehabt. Nachdem sie alle Leichen im Wald verscharrt hatten, machten sie sich inzwischen im Schutze der Nacht wieder auf den Rückweg zur Burg. Eigentlich hätte Rufus nun endlich genügend Geld, um seine Männer das ganze Jahr über zu bezahlen, doch machte er sich in seinem Kopf schon ganz andere Pläne. Die Tuchhändler hatten ihn auf den Gedanken gebracht, dass seine Kleidung schon über ein Jahr alt war. Er würde sich zunächst einmal neu einkleiden müssen. Der kleine Zug kam an eine Kreuzung und die vorderen Männer blieben stehen. "Was ist da los?" fragte Rufus verärgert. Sein Knappe antwortete:"Die Waliser scheinen den Weg vergessen zu haben." "Dumm wie Brot. Zumindest spart mir das ihren Sold, denn zählen können sie ja auch nicht." Der Knappe und die anderen berittenen Gefolgsmänner lachten. Als sie bei den Walisern angekommen waren rief Rufus ungeduldig:"Es geht rechts lang verdammt! Warum bleibt ihr hier stehen? Könnt ihr euch den gar nichts merken?" Die Waliser hatten sich alle umgedreht und ihr Anführer erwiderte nur ganz gelassen:"Oh, wir haben den Weg nicht vergessen." "Was soll das dann? Lauft weiter!" "Wir haben auch nicht vergessen, dass ihr uns bereits vier Wochen keinen Sold gezahlt habt." "Zahltag ist immer am Monatsende, das ist erst in drei Wochen. Wir haben außerdem nicht genug Geld erbeutet. Wir müssen uns öfter auf die Lauer legen." "Monatsende war gestern!" antwortete der Waliser stur. "Ich schlage vor ihr gebt uns schon mal das Geld, das wir heute erbeutet haben." Rufus war etwas peinlich berührt. Der Waliser hatte recht, gestern war Monatsende. Dennoch sah er es nicht ein diesem walisischen Abschaum sein gutes Geld zu geben. Er wurde wütend "Ihr bekommt euer Geld, wenn ich es sage, oder gar nicht! Jetzt bewegt eure Ärsche sonst machen wir euch Beine!" "Nein!" Rufus zog sein Schwert:"Wirst du wohl meinem Befehl folgen!" "Wir dachten uns schon, dass ihr so reagieren würdet", gab der Waliser eiskalt zurück. Dann rief er laut etwas auf Walisisch und mit einem mal schien der ganze Wald lebendig geworden zu sein. Rufus' Männer zogen ebenfalls ihre Waffen. "Hinterhalt! Wir sind komplett umzingelt!" rief einer seiner Männer. Rufus selbst war zu Tode erschrocken. Die Nach verbarg zwar viel, aber soweit er das sehen konnte, wimmelten da mehrere hundert Mann durch den Wald und versperrten alle Fluchtwege. Er und seine Getreuen waren hoffnungslos unterlegen. Der Waliser ergriff wieder das Wort. "Ihr wolltet uns wohl für dumm verkaufen?! Dachtet ihr wirklich, dass wir nicht bemerken, dass ihr die ganze Beute hortet und dann für eure Prunksucht verprasst, anstatt uns zu bezahlen? Wir haben ein paar Freunde aus der Heimat gerufen, die uns nur allzu gerne helfen wollen. Ich fürchte euer Ausstand an Soldzahlungen hat sich gerade mehr als verdoppelt. Wir werden jetzt zu eurer Burg gehen und alles mitnehmen was wertvoll ist. Sollte uns das nicht reichen, so werden wohl eure Frau und deren Zofen den Rest abarbeiten müssen." Er lächelte vielsagend. Die Waliser johlten. "Los holt sie von den Pferden runter! Nicht dass sie noch versuchen abzuhauen." "HALT! WARTET!" schrie Rufus entsetzt. "Warum sollten wir? Oder habt ihr etwa genug Geld uns alle hier und jetzt zu bezahlen?" Gelächter kam auf. Rufus fing sich wieder. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen:"Nein, das Geld habe ich nicht hier und auch nicht auf der Burg, aber..." Der Waliser wollte ihn wieder unterbrechen. "...Aber, ich weis, wo wir mehr als genug Geld finden werden." "Und das wäre wo?" "In Chester.." Die Waliser lachten wieder auf und auch seine Männer sahen ihn erstaunt an. "Chester ist eine gut befestigte Stadt, da holen wir nichts!" "Hört mich an! Ich weis aus sicherer Quelle, dass in Chester zur Zeit kaum Soldaten stationiert sind. Zumeist nur Bauern, denen man einen Speer in die Hand gedrückt hat. Sie erwarten keinen Angriff. Mit euch und euren Freunden sind wir genug Männer, um die Stadt erobern zu können. Danach könnt ihr wieder über die Berge nach Wales verschwinden. Mit eurer Beute." "Warum sollten wir euch glauben?2 fragte der Waliserhauptmann. Er schien sich nicht sicher zu sein, was er davon halten sollte. "Fragt eures Gleichen, heute Morgen habe ich von meinen Männern die Bauern aus der Umgebung Chesters dahingehend "befragen" lassen. So konnte ich sicher gehen, dass uns niemand in die Quere kommt. Es waren auch Männer von euch dabei. Fragt sie, sie werden es bestätigen!" Der Waliser sah sich um:"Stimmt das? War einer von euch dabei?" Ein Mann hinter ihm antwortete:"Ja, ich war dabei. Es stimmt was er sagt." Auch zwei weitere bestätigten Rufus' Geschichte. Ihr Hauptmann überlegte eine Weile dann sagte er: "Da habt ihr ja noch mal Glück gehabt. Ich hatte mich schon auf eure Frau gefreut. Naja, in Chester gibt es bestimmt auch schöne Frauen. Oder was sagt ihr Männer?!" Die Waliser jubelten zustimmend. "Dann ist es abgemacht, wir plündern zusammen Chester und danach machen ich und meine Männer uns aus dem Staub. Was wir nicht tragen können, könnt ihr dann behalten!" Rufus atmete kurz durch, ihm war klar, dass er damit seine Probleme nur aufgeschoben hatte. Überfälle auf ein paar gemeine Händler interessierten kaum jemanden. Doch eine Stadt angreifen und plündern war eine andere Sache. Darauf würde jemand Mächtiges reagieren. Für den Moment waren er, seine Männer und seine Frau jedoch von den Walisern gerettet worden. Er war sich sicher, dass sie ihn umgebracht hätten. Und wer wusste schon, was die Zukunft brachte. Vielleicht würde sich ja eine Gelegenheit geben aus der ganzen Misere wieder hinaus zu kommen. Die Spielernatur in ihm kam hoch: Wenn man verlor gab man nicht auf, sondern verdoppelte einfach den Einsatz!
[Im Spiel: Armee von Rufus hat Söldner angeheuert und belagert Chester]
Von derjenigen Rufus' gänzlich verschieden war die Denkweise des jungen Richard de Montfort. Als ihm am Nachmittag des fünften Tages nach dem Ereignis im Wald bei Rufus' Burg Nantwich gemeldet wurde, eine offenbar feindselige Armee habe in der Umgebung der Stadt ihr Lager aufgeschlagen, wurde ihm angst und bange. Richard war keine Feigling, sonst hätte ihn sein Vater nicht mit der Verwaltung seines Earldoms Chester betraut. Doch er hatte einen Sinn für die Realität und wusste, dass eine grosse Söldnerkompanie aus Gwynedd im letzten Jahr über den Pen-y-Pass nach England gekommen waren und die Gegend seither unsicher machten, da niemand dumm genug gewesen war, das Risiko einzugehen, solch suspekte Gesellen anzuheuern. Und er war schlau genug, eins und eins zusammenzuzählen: Unzufrieden mit der mageren Ausbeute des vom Kleinkrieg mit dem Fürstentum Powys Fadog versehrten Umlandes und übermütig geworden aufgrund der widerstandslosen Plünderung einiger Dörfer im östlichen Cheshire hatten die Freischärler beschlossen, aufs Ganze zu gehen und die Grafschaftshauptstadt zu überfallen. Er hätte sich ohrfeigen können! Hätte er doch nur die Bürgermiliz im Wissen um die Anwesenheit der walisischen Kriegsknechte nicht zu seinem Vater auf seinen Feldzug gegen einen renitenten Baron der nördlichen Midlands geschickt! Doch nun war alles Bedauern vergebens, er wusste, dass seine Lage aussichtslos war. Die einzigen kampfgeübten Männer in der Stadt waren die Bauern, die in dem umkämpften Gebiet zwangsweise das Waffenhandwerk hatten erlernen müssen - sofern man den zum Martialischen zweckenfremdeten Umgang mit Heugabeln, Dreschflegeln und dergleichen mehr denn so bezeichnen konnte. Die Bauern waren für den Wochenmarkt in die Stadt gekommen und jetzt dort eingeschlossen.
Richard kannte die Kampfstärke seiner Gegner nicht, doch hatter er nicht die geringsten Zweifel daran, dass jeder Widerstand aussichtslos war. Sein Vater würde nie rechtzeitig mit einem Entsatzheer anrücken können, selbst wenn es ihm gelänge, ihn zu benachrichtigen. Er war also auf sich allein gestellt. Resigniert liess er die Aldermen der Gilden Chesters in der Burg einberufen und unterrichtete sie vom Ernst der Lage: "Meine Herren! Wir sind eingeschlossen von diesem walisischen Gesindel, das es allem Anschein nach auf unser ganzes Vermögen abgesehen hat. Es ist absolut ausgeschlossen, dass wir uns gegen eine solche Übermacht zur Wehr setzen können, und machen wir uns besser keine Hoffnungen auf das Eintreffen von Verstärkung. Darf ich die Herrschaften um Vorschläge bitten, wie Eurer Ansicht nach in dieser Situation zu verfahren ist?" Erschrockenes Gemurmel erfüllte den Raum und erstarb wieder, als der Vorsitzende der Merchant Draper's Guild das Wort ergriff: "Unter diesen Umständen, Monseigneur, kann ich Ihnen im Namen unser aller nicht besser raten, als die Stadt auf schnellstmöglichem Wege zu verlassen." "Dafür ist es zu spät. Ich fürchte, uns bleiben nur zwei Möglichkeiten: Kampf oder Kapitulation." Wieder erfüllte erregtes Tuscheln den Raum. "Wenn dem so ist, verkündete der Alderman mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn, "können wir unserer Verantwortung für das Wohl dieser Stadt und ihrer Bürger durch nichts anderes gerecht werden denn durch die Übergabe der Stadt - was auch immer die Konsequenzen für uns sein mögen. Die übrigen Anwesenden taten ihrer Zustimmung durch neuerliches Geraune kund. "Nun denn, so werde ich diese Mordbuben vor den Toren wissen lassen, dass wir ihnen morgen die Stadttore öffnen werden. Ich danke Euch für Euer Erscheinen und Euren weisen Rat." Seine Stimme hatte einen traurigen Unterton, aber auch Richard sah ein, dass dies die einzig vernünftige Entscheidung war. ________________________________________________________________________________________________________
Am Abend erschien in Rufus' Lager ein Verwaltungsbeamter und Mitglied des Stadtrats, um die Übergabebedingungen zu verhandeln. Er bot an, den Söldnern widerstandslos Zugang zur Stadt zu gewähren, mit dem einzigen Vorbehalt, dass das Leben der Bürger und die nichtmilitärische Infrastruktur geschont werden sollen. Im Gegenzug würde sich Richard de Montfort persönlich in Rufus' Gefangenschaft begeben. Der Sohn des Earl of Leicester appelliere an Gnade und Urteilsvermögen des Adligen und sie zuversichtlich, dass seine Worte dem Frommen aller Beteiligten nützen mögen.
Quid non scintillat neque contingit (Was nicht funkt, funzt nicht)
Rufus`war erfreut über die Nachricht, die ihm der Stadtrat da überbrachte. Sofort ließ er Tewdwr rufen, den Hauptmann der Waliser. "Seht ihr, ich habe euch doch gesagt, dass die Stadt nur schwach bewacht wird. Sie bieten uns die Übergabe der Stadt an, solange wir die Bürger in Ruhe lassen. Wir können die Stadt ohne Kampf plündern. Damit sollten meine Schulden bei euch mehr als beglichen sein und was die Frauen angeht so habt ihr euch inzwischen doch sicherlich an den Bauerstöchtern der Umgebung gütlich getan." Tewdwr lächelte, das hatte er nun wirklich nicht erwartet. "Ihr Engländer seid ein feiges Volk. Waliser hätten sich mit Knüppeln und Stöcken bewaffnet und gekämpft. Nun, mir soll es recht sein. Doch was habt ihr mit der Stadt vor? Die Bevölkerung wird euch hassen, genauso wie englischen Großen, die euch das sicher nicht ungestraft durchgehen lassen werden." "Nun, das lasst meine Sorge sein. Doch bitte ich euch um eines: Sagt euren Männern, dass ich einem jeden von ihm den doppelten Sold zahle, wenn er bleibt." Der Waliser lachte auf:"Das werde ich, doch die wenigsten werden euch noch genug trauen. Ich persönlich werde mich jedenfalls mit meinem Anteil morgen verabschieden und hoffe, dass ich euch nie wieder sehen muss." Rufus hatte auf das nichts zu erwidern und ließ daher dem Gesandten aus der Stadt sagen, dass er das Angebot annehme. Innerhalb einer Stunde sollten Richard de Montfort sowie der Stadtrat zu ihm als Gefangene ins Lager kommen und die Bevölkerung ohne Waffen und Gepäck die Stadt verlassen. Sie sollten solange warten, bis man sie wieder in die Stadt einlasse. Er könne für keinen Menschen garantieren, der innerhalb der Mauern bliebe.
Kurz vor Ablauf der von Rufus gesetzen Frist erschien der junge Adlige am Ende des langen Flüchtlingsstroms, in Begleitung sämtlicher städtischer Würdenträger. Einzig das Oberhaupt der Brewer's Guild hatte es vorgezogen, sich in der an die Guild Hall angeschlossenen Spelunke zu verschanzen und die Misere dort mit einigen Freunden wortwörtlich auszubaden. Vorsichtshalber liess er jedem Waliser durch seine Hausdiener ein ansehnliches Sümmchen aushändigen, um bei seinem Zechgelage nicht gestört zu werden.
Der traurige Zug der Vertriebenen, heimatlos Gewordenen bahnte sich langsam einen Weg Richtung Osten, wo die meisten gedachten, bei Verwandten unterzukommen, bis über das Schicksal ihrer Stadt entschieden sei. Chesters Bürger hatten das Kostbarste ihrer Habseligkeiten im Mund, in Schuhsohlen oder Rockfalten verborgen, selbst die Kinder trugen Münzen oder Schmuck unter der Zunge. Gelegentlich war in der Ferne ein Klimpern zu hören, wenn ein Ring oder gar eine Halskette aus ihrem Versteck fielen, gefolgt von trampelnden Schritten, als die weniger Begüterten sich mit Begeisterung auf die unverhoffte Einnahmequelle stürzten, welche sich ihnen hier darbot. Die Frauen hatten sich in ihre schmutzigsten Lumpen gehüllt, um nicht doch noch das Begehren der gierigen Söldner zu erwecken.
Nur die allerwenigsten, die es sich leisten konnten, hatten mit einer behelfsmässig zusammengestellten Mannschaft die Flucht auf dem Seeweg vorgezogen und ihr Hab und Gut auf Boote verladen, mit denen sie sich die Küste entlang vom Nordwind an sicherere Gestade treiben liessen. So stand die Stadt, in die noch am Tag zuvor die Landwirte des Umlands in Scharen ihr Vieh getrieben hatten, um die Mittagszeit völlig verlassen da, als hätte sich eine unsichtbare Hand all ihrer Einwohner bemächtigt und sie vom Antlitz der Erde getilgt.
Die einzigen, die in Chester noch ausharrten, waren die Zechbrüder um den Gildenmeister in ihrem Saufkeller, fast so, als feierten sie im hellen Wahn die Eroberung ihrer eigenen Stadt durch fremde Truppen.
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Rufus war nervös gewesen, ob wirklich alles so ablaufen würde, wie er sich das vorgestellt hatte, doch war diese Sorge unbegründet. Richard de Montfort kam zwar spät, aber er kam. Er behandelte ihn standesgemäß und ließ ihn zunächst erst einmal in sein Zelt bringen. Auch der Auszug der Bürger verlief reibungslos. Rufus gab nun das Signal zum Plündern und seine um einige Diebe, Räuber und Vogelfreie angewachsene Meute stürmte in die Stadt. Die Zecher in der Spelunke hatten zwar an Geld für die Plünderer gedacht, aber nicht bedacht, dass Bier auch eine sehr begehrte Ware war. Die Waliser ließen sich bestechen, doch die Räuber und Vogelfreien hatten seit Ewigkeiten kein Bier mehr getrunken und erschlugen nicht nur die Zechbrüder sondern sich zum Teil auch gegenseitig im Streit um das flüssige Gold. Der Rest der Stadt wurde hemmungslos ausgeplündert. Etwa die Hälfte der Waliser verabschiedete sich sobald sie so viel Beute zusammengerafft hatten, wie sie auf Karren und Wägen mitnehmen konnten. Ähnlich suchten einige klügere Diebe und Räuber ebenfalls das Weite, bevor sie selbst in der Gesetzlosigkeit der Stadt unter die Räder gelangten. Viele blieben jedoch auch, da sie Rufus fälschlicher Weise für einen genialen Räuberhauptmann hielten und hofften, er würde sie noch reicher machen. Rufus selbst zog mit seinen Gefolgsmännern sowie seiner inzwischen eingetroffenen Frau in die Burg ein. Seine Gefolgsmänner sicherten die Burg gegen den Rest der zügellosen Meute, sodass sie ungestört waren und den eigenen Anteil an der Beute abzweigen konnten. Als das Gröbste geklärt war ließ er Richard de Montfort zu sich holen. Er erwartete ihn auf der Mauer, mit Überblick auf die Stadt und auf den Dee. "Wie es scheint habt ihr gewaltiges Pech. Die Waliser zwangen mich zu diesem Angriff auf die Stadt. Es war eine Notlösung, um sie loszuwerden. Ich erwarte nicht, dass ihr mir dies verzeiht. Um euer Pardon mache mir auch weniger Sorgen, als um das eures Vaters. Wie lieb ist ihm euer Leben? Würde er dafür von einem Angriff auf Chester absehen?"
"Ihr werdet doch nicht im Ernst erwarten, dass ich Euch diese Frage ehrlich beantworten kann?", fragte der Statthalter von Chester erstaunt. Dann stutze er, legte die Stirn in Falten und blickte Rufus direkt in die Augen.
"Wobei, wisst Ihr was, ich werde es trotzdem tun - es ist ja nicht, als wäre ich in der Lage, meine Zeit auf ergiebigere Weise zu verbringen oder als könnte ich mir dadurch einen Vorteil verschaffen, Euch Informationen vorzuenthalten. Zuallererst müsst Ihr wissen, dass mein Vater grosse Ambitionen hegt. Wenn es ihm nützt, sich noch auf seine alten Tage im Kampf gegen eine Bande dahergelaufener Kriegsknechte ausgezeichnet zu haben, wird er diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, seine Standesgenossen zu beeindrucken. Dies trifft um so mehr zu, wenn Ihr bedenkt, dass er andernfalls als seniler Schwachkopf oder rückgratloser Feigling dastehen würde, der seine eigene Grafschaftshauptstadt nicht zu schützen vermag.
Zum Zweiten ist mein Verhältnis zu meinem Vater... nun ja, zwiespältig. Nicht, dass er mich nicht mag - aber meine Brüder standen ihm immer näher. Sie sind ihm einfach ähnlicher - ehrgeizig, abenteuerlustig, romantisch: In all dem komme ich ihnen nicht nahe." Hilfe suchend sah Richard Rufus erneut an.
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Rufus seufzte:"Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich vorhabe in Chester zu bleiben? Die Tatsache, dass ich diese Stadt hier besetzt habe ist eine Beleidigung aller englischen Großen und nicht zuletzt auch des Königs. Ich will mir nur Zeit verschaffen, bis ich einen Ausweg aus meiner Lage gefunden habe. Ich weiß, dass euer Vater mit einem ansehnlichen Heer inzwischen meine Burg besetzt hat. Ich bin nicht so töricht zu glauben, dass er Chester gegen meinen Stammsitz tauschen würde und die ganze Sache damit vergessen werden könnte. Nein, ich denke ich werde mit meinen Kriegern weiterziehen. Es bleibt lediglich die Frage, wohin? Und da kommt ihr ins Spiel, wenn ihr mir genug Zeit verschaffen könnt, dass ich ausreichend Schiffe zusammen bekomme, so werde ich mich aufs Meer verabschieden und England ist mich und meine Meute los. Vielleicht kann ich einige davon überzeugen das Kreuz zu nehmen und ins Heilige Land zu ziehen. Die anderen Optionen wären gen Westen nach Walse zu marschieren, was jedoch einen Großteil meiner Männer gegen mich aufbringen würde, da sie selbst aus Wales stammen. Zudem scheinen die Waliser ihrer Grenzen gut zu schützen. Im Osten steht euer Vater. Wenn ich also keine Schiffe zusammen bekomme, bleibt mir nur nach Norden oder Süden auszuweichen und zu hoffen, dass ich keinen überlegenen Gegner treffe, was früher oder später der Fall sein wird. Ihr seht also, dass meine ehrliche Hoffnung darin liegt, in See zu stechen. Sicher werden einige der Männer hier bleiben wollen, doch mit denen wird euer Vater dann leichteres Spiel haben, als wenn ich beginne mich hier zu verschanzen." Er sah Richard starr ihn die Augen, um ihm deutlich zu machen, dass er es ernst meinte.
"Ich kann Euch nicht helfen, und - verzeiht mir meine Unverfrorenheit - würde es auch nicht tun, wenn ich könnte. Mein Vater würde mich lieber rächen als retten. Und wenn nicht er Euch vors Königsgericht schleift, dann tut es der Sheriff von Lancashire, Sir Patrick de Ulvesby.
Mit beeindruckender Nonchalance fuhr Richard fort: "Ihr habt keine Chance, wenn Ihr hierbleibt, und ich bin für Euch nutzlos. Ihr könnt mich gefangen halten oder töten, doch seid Ihr letztlich besser beraten, wenn Ihr England auf schnellstmöglichem Wege verlasst, auf die Isle of Man beispielsweise, und Euch nicht auch noch an einem Lord des Reiches vergeht. Tut, was Ihr für richtig haltet - aber ich bitte Euch, haltet Euch an unsere Vereinbarung. Trotz aller unglücklicher Umstände seid Ihr ein Edelmann, und das Ehrenwort ist die Zierde Eures Standes."
Richard hatte fertig gesprochen, doch bevor Rufus ihm antworten konnte, fügte er, plötzlich erregt, hinzu: "Da fällt mir ein, im Hafen liegt noch eine Holk zur Reparatur. Ich hatte meinen Vater weit weg im Norden geglaubt und weiss nicht, wie lange er von Eurer Burg bis hierher brauchen wird. Versuchen müsst Ihr es allemal. Gibt es Seeleute unter Euren Männern?"
Der Prinz schien sich nicht ganz zwischen kaltblütiger Verachtung, Gleichgültigkeit und verbissenem Überlebenswillen entscheiden zu können.
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"Ihr sagt ihr könnt und wollt mir nicht helfen und erzählt mir dann doch von einem Schiff, welches mich und meine Getreuen wegbringen könnte und noch einer Möglichkeit wohin? Sollte ich daraus schliessen, dass mich auf dem Meer eine Flotte erwartet?"
"Eine englische? Moor ist nichts Derartiges bekannt. Und selbst wenn Ihr auf eine treffen solltet - Ihr könntet Euch als Händler der Manx ausgeben. Natürlich kann ich Euch nicht helfen, doch weshalb sollte ich Eure Ergreifung anstreben? Vielmehr würde man mir Unfähigkeit oder Feigheit nachsagen, vor einer Bande wie der Euren die Tore geöffnet zu haben."
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"Wohl kaum. Gerüchte verbreiten sich schnell. Eine furchterregende walisische Heerschar, die unvermittelt vor den Toren einer Handelsstadt erscheint und deren Kommandanten nur die Wahl lässt, das Leben der ihm anvertrauten Bürger zu retten oder sie in einen sinnlosen Tod zu mitzureissen ist genau der Stoff, aus dem sich das Ondit nährt, wenn nicht mehr. Vorausgesetzt natürlich, diese Streitmacht stellt sich geschickt genug an, nicht von einer englischen Patrouille aufgerieben zu werden.
Zeugen hätte ich für meine Geschichte zu Genüge", setzte Richard hinzu.
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"Wenn ihr meint, dass ihr damit davon kommt, nun gut. Ihr seid frei, sobald wir die Stadt verlassen", antwortete Rufus und ließ seine Männer sich für den Abmarsch bereit machen.
Im Hafen wurde tatsächlich noch ein Schiff gefunden, es war jedoch keine Holk, sondern nur eine große Kogge. Einige kleinere Schiffe, die sicher nicht wirklich hochseetauglich waren konnte man ebenfalls finden. Doch waren das zumeist nur größere Fischeboote. Niemals würde Rufus hier alle Männer transportieren können. Als er gerade nach fähigen Seemännern suchte, kam ein Reiter zu ihm:"Lord Rufus! Eine Armee ist im Anmarsch!" "Welche Banner habt ihr gesehen?" Der Reiter war verlegen, es war keiner von Rufus' Gefolgsmännern, sondern nur ein Bauer oder Räuber, den man auf ein Pferd gesetzt hatte:"Äh, ich weis nicht genau, sicher sind es Engländer und keine Waliser Mylord." "Von wo kommen sie? fragte Rufus schon etwas genervt. "Von Osten, Mylord." "Na, dann ist es auch unwahrscheinlich, dass es Waliser sind. Wir sollten diesen Kahn hier schnellstmöglich seetauglich bekommen. Wie weit ist die Armee noch entfernt?" Wieder schaute der Mann verlegen:"Ich denke in zwei Tagen werden sie hier sein." Rufus wandte sich genervt ab und entließ den Reiter mit einer Handbewegung. Einer seiner Männer meinte:"Nun, größere Löcher im Rumpf sind nicht zu sehen. Ich glaube es ging hauptsächlich ums Segel." "Haben wir ein neues?" "Äh, ja es liegt da drüben." "Dann ladet es auf das Schiff, es wird schon irgendeinen Fischer geben, der weis, wie man das Ding an den Mast bekommt. Nehmt alle Taue und Vorräte mit die ihr finden könnt!" Sofort entstand hektische Betriebsamkeit. Rufus ließ aus der Stadt so viel Essbares wie möglich ranholen und sprach auf einer Bühne auf dem Marktplatz zu der Versammelten Meute, die schon um einiges geschrumpft war, da sich vor allem die Waliser bereits aus dem Staub gemacht hatten. "Männer, hört mich an! Wir haben uns an dieser Stadt gütlich getan, doch jetzt ist es an der Zeit, dass wir sie schnellstmöglich verlassen, denn ein Heer ist auf den Weg hier her, um die Stadt zu erobern. Ich weis viele von euch trauen meiner Führung nicht und ich werde keinen zwingen die Stadt zu verteidigen. Ihr könnt gehen wohin ihr wollt, schließlich habt ihr hier einiges an Beute gemacht. Nur solltet ihr diese Gegend fortan meiden. Wer mit mir ziehen will muss seefest sein. Wir haben ein großes Schiff im Hafen gefunden und dazu einige kleinere. Wer jetzt noch mitziehen will soll zum Hafen gehen. Im Abendgrauen werden wir absegeln!" Mit diesen Worten verließ er die Bühne. Die Meute war verwirrt. Viele waren noch total verkatert und hatten kaum verstanden, was hier überhaupt passiert war. Einige packten augenblicklich ihre Sachen und machten sich ebenfalls aus dem Staub. Solange sie noch keine bekannten Verbrecher waren konnten sie mit ihrer Beute sicher anderswo ein neues Leben anfangen, sich z. B. als Söldner oder Seemänner verdingen. Einige Bauern würden auch sicherlich einfach auf ihre Höfe zurückkehren und sagen, dass sie von Rufus dazu gezwungen wurden mitzumachen, obwohl das schlicht gelogen war. Rufus sammelte seine Familie ein und schickte sie zum Hafen. Es waren ohnehin nur seine Frau, seine kleine Tochter und der alte Bruder seiner Mutter. Diejenigen, die Rufus immer noch für einen genialen Räuberhauptmann hielten kamen tatsächlich zum Hafen. Abschließend kam Rufus nochmals zu Richard:"Nun, Richard ihr habt es sicher bereits bemerkt. Die Meinigen und Ich ziehen von dannen. Was mit denen passiert, welche noch hier bleiben wollen ist mir egal. Ihr seid jetzt jedoch wie versprochen frei. Ich gebe euch zudem mein Wort, dass ich nie wieder einen Fuß auf England setzen werde, sollte ich nicht verfolgt werden. Sagt das eurem Vater. Sehe ich auch nur ein englisches Seegel, das mich verfolgt, werde ich augenblicklich die Küste ansteueren!" Das war alles geblufft, doch das konnte Richard nicht wissen. "Ich verabschiede mich an dieser Stelle. Gehabt euch wohl!" Ohne ein weiteres Wort abzuwarten mit dem ihn Richard hätte aufhalten können, wandte sich Rufus ab und ging zum Hafen. Im Hafen fand er die glückliche Situation, dass sich genug große Boote für alle gefunden hatten und offenbar war es seinen Männern gelungen das Segel am Mast zu befestigen. Es war nur noch ein kleiner Bruchteil der Masse welche Chester gestürmt hatte. Überrascht war er jedoch, dass sich eine Abteilung Waliser entschlossen hatte ihm zu folgen. Die Dämmerung war bereits weit fortgeschritten, als endlich günstiger Wind aufkam und sie aus dem Hafen segeln konnten. Rufus warf keinen Blick zurück. Nur seiner Frau schien der Abschied von Englands Küste schwer zu fallen. "Wo sollen wir hinsegeln Mylord?" fragte einer seiner Männer. "Weg, nur weg von Englands Küste....."
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13.01.2020 09:02 (zuletzt bearbeitet: 05.07.2020 11:28)
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